Unterschätzte Kunst oder Schmiererei?

AUSSTELLUNG

Foto: Walter Keller

 

Großformatige Fotos von Street Art stellt der Dortmunder Foto-Journalist Walter Keller im Treppenhaus des domicils aus. Wir sprachen mit ihm über Motivation, Technik, Widersprüche und die Vergänglichkeit einer Kunstform.

Walter, Street Art ist in vielen großen Städten der Welt verbreitet. Ist diese Kunstform ein Phänomen der internationalen Metropolen?

Zuerst ja. Was wohl in New York begann, hat mittlerweile viele andere Metropolen weltweit erreicht. In Deutschland sind vor allem Städte wie Berlin, Köln, Düsseldorf zu nennen. Aber auch Mannheim, Paderborn, Wilhelmshaven oder Dortmund sind durch solche Kunstwerke vieler Künstlerinnen und Künstler bunter geworden.

Wo findet man diese „Straßenkunst“?

Die Künstlerinnen und Künsteler nutzen Fassaden, Außenmauern, Stromkästen, Ampeln, Straßenlaternen und Bürgersteige für ihre meist nicht kommerziellen Arbeiten im öffentlichen Raum. Die kleinen und großen Werke sind aus dem Stadtbild kaum noch wegzudenken. Hier in Dortmund denke ich etwa an einige Wandbilder von Denis Klatt, vor allem an seinen riesigen Wal auf der Fassade eines Lagerschuppens im Hafengebiet.

Einer derjenigen, der diese Kunstform entscheidend mitgeprägt hat, ist sicherlich der sagenumwobene britische Künstler Banksy, den bis heute offensichtlich niemand persönlich kennengelernt hat. Er fasziniert seit Ende der 1990er Jahre immer wieder mit seinen meist gesellschaftskritischen Werken, die über Nacht entstehen.
Etliche Städte veranstalten regelmäßige Street-Art Festivals und laden dafür Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt ein und generieren damit ein neues Touristenpotential für die Städte – Besucher kommen, um Street Art zu sehen.

Was zählt denn alles zu Street Art?

Es gibt keine eindeutige Definition von Street Art. Sie ist zunächst einfach eine von einer Künstlerin oder einem Künstler erschaffene visuelle Ausdrucksform, die für alle Menschen öffentlich zugänglich ist und kostenlos zur Verfügung steht.

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Klar! Sticker sind die vermutlich einfachste Form der Street Art. Es gibt Sticker, die einen humorvollen Charakter haben, verschiedene Parolen verbreiten, Werbung machen oder auch Kritik üben. Einen Sticker, über den ich lange schmunzeln musste, habe ich vor kurzem in Wernigerode im Harz an einer Ampel gesehen. Auf dem Sticker stand: „Niemand muss ein Arschloch sein“.

Wandmalereien haben wohl die weiteste Verbreitung. Mit Sprühdosen und anderen Utensilien wird eine Wand vom Künstler besprüht. Beliebt ist das Sprühen des eigenen Künstlernamens in der eigenen individuellen Art, das sogenannte „Taggen“. Großprojekte in der Wandmalerei nennt man Murals. Sie haben oftmals gigantische Ausmaße. Ich denke da etwa an eine Arbeit in Mannheim über 14 Stockwerke. Das Werk ist hier in dieser Ausstellung zu sehen. Stencils werden nicht aus der Hand, sondern mit Hilfe einer vorher angefertigten Schablone an die Wand gesprüht. Diese Technik eignet sich besonders gut zur simplen Vervielfältigung eines Motivs.

Gibt es auch neue Trends?

Ja, das Urban Knitting etwa ist eine Form der Street Art, die immer beliebter wird. Hierbei werden verschiedenste Gegenstände, Bäume, Laternenpfähle und anderes, teilweise oder auch gänzlich mit Wolle umstrickt.

In welchem Spannungsfeld bewegt sich Street Art?

Alle hier erwähnten Formen der Street Art haben meist eine Gemeinsamkeit. Werden sie auf Flächen ausgeübt, die nicht im Besitz des Künstlers liegen, sind sie illegal. Das führt oft zu Konflikten, denn eine klare Grenze zwischen Vandalismus und Kunst gibt es hier nicht. Während die Künstlerin oder der Künstler selbst Street Art als eine frei zugängliche und unterschätzte Kunstform ansehen, ist sie für Hausbesitzer oft nur Schmiererei und ein teurer Schaden. Mittlerweile gibt es aber immer mehr legale Kunst – Kunst, die in Auftragsarbeit ausgeführt wird. Den „Ur-Sprayern“ gefällt das oft gar nicht. In Hannover sah ich kürzlich ein Graffiti: „Ich lach über RAP in den Charts und legales Graffiti“.

Welche Motive sehen wir hier im Treppenhaus des domicils?

Die von mir hier gezeigten Arbeiten sind ein kleiner Einblick in mehrere tausend Kunstwerke, die ich in den letzten Jahren in vielen Städten fotografiert habe. Die hier ausgestellten sind aus Marseille, Istanbul, Buenos Aires, Quito, Toronto, Teheran, Mannheim, Paderborn, Hannover und Dortmund und meist sind die Urheber unbekannt.

Was ist für dich besonders an Street Art?

Sollte jemand die Idee haben, die ausgestellten Werke an Ort und Stelle aufzusuchen, kann es passieren, dass es die Werke gar nicht mehr gibt. Ein Charakteristikum von Street Art ist nämlich auch ihre Vergänglichkeit. Oft werden Werke übermalt und jemand anderes nutzt dann diesen Raum für etwas Neues. Nicht selten werden illegal angebrachte Werke entfernt. Mittlerweile gibt es überall auf der Welt „Anti Graffiti Spezialisten“, die im Auftrag von Hauseigentümern bemalte Wände reinigen. Wer bei google „Entfernung von Graffiti“ eingibt, wird erstaunt sein, wie viele Unternehmen sich darauf spezialisiert haben.

Du fotografierst nicht allein die Motive, wie wir sehen können. Sondern du schaffst auch eigene Foto-Kunstwerke.

Genau. Ich warte mitunter stundenlang vor einem Motiv auf den richtigen Moment für ein Foto. Manchmal sind es einfach nur Personen, um die Dimensionen eines Kunstwerks zu verdeutlichen. Manchmal sind es hinreißende Momente, wie zum Beispiel der Fussball spielende Junge vor dem großformatigen Porträt von Frida Kahlo in Marseille. Es gibt aber auch sehr ernste, wie die verschleierte Frau, die an der mit Kriegsmotiven bemalten Mauer der ehemaligen amerikanischen Botschaft in Teheran vorbeigeht. Eine nicht ganz ungefährliche Situation.

Die Fragen stellte Michael Kalthoff-Mahnke.

 

Street Art in Marseille: Portät von Frieda Kahlo mit spielendem Jungen.
Street Art in Marseille: Portät von Frieda Kahlo mit spielendem Jungen. Foto: Walter Keller

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